Riedel, A.: Tierknochen aus der römischen Villa rustica von Nickelsdorf im Burgenland (Österreich). p. 449-539, 11 figs, 107 tabs
Die Fundstelle von Nickelsdorf, Bezirk Neusiedl am See (Burgenland) liegt im Flachland der Ungarischen Pforte auf rund 130 m Seehöhe, etwa 60 km südöstlich von Wien, knapp an der Staatsgrenze zu Ungarn. Die durch den Bau einer Autobahn ausgelöste Rettungsgrabung auf einer rund vier Hektar großen Fläche im Löß- und Ackerboden erfaßte Teile einer römischen Villa rustica aus dem 2.-3. Jahrhundert nach Chr. Nickelsdorf liegt rund 25 km südöstlich von Carnuntum, der einstigen Hauptstadt Oberpannoniens, im Hinterland der großen Städte und Militärlager des nahen Donaulimes.
Die Zusammensetzung des Fundkomplexes ist durch einen erhöhten Anteil jener Haustierarten (Equiden, Hund) gekennzeichnet, die in gewöhnlichen Speiseabfällen eher seltener vorzukommen pflegen. Rinder, kleine Hauswiederkäuer und Hausschweine sind dennoch gut belegt. Schafe sind viel häufiger als Ziegen. Ein Drittel der Equiden könnten Maultiere sein. Wildtiere sind selten (Fundzahlrelationenen: Rinder 33%, kleine Hauswiederkäuer 19%, Hausschwein 10%, Equiden 20%, Hund 13%).
Eine andere Besonderheit ist das Vorkommen mehrerer Gruben mit mehr oder weniger ganzen Skeletten von Rindern, Schafen usw., sowie das gehäufte Auftreten von Knochen ohne Schlacht- undZerlegungsspuren. Es wird deshalb vermutet, daß die Knochen mehrerer verlochter Tierkadaver disloziert und in der Folge mit normalem Abfall vermischt wurden.
Die Rinder ergeben im Gegensatz zu vielen anderen provinzialrömischen Komplexen wie z. B. Traismauer das Bild einer einzigen homogenen Population eines großwüchsigen Schlages, der in Mitteleuropa erst in Begleitung der Römer erscheint. Diese Rinder sind durch verhältnismäßig gestreckte Kiefer und nicht besonders lange Hornzapfen charakterisiert. Auch die Schafe und Ziegen entsprechen den größeren römerzeitlichen Formen. Die Hausschweine, deren Durschnittsgröße prinzipiell wenig variiert, sind wie in den meisten zeitgleichen Komplexen mittelgroß.
Auch die Pferde bilden anscheinend eine einigermaßen homogene Population mittlerer Größe. Weder besonders große, noch besonders kleine Individuen sind belegt. Ihre Größe liegt durchschnittlich nur wenig über jener der östlichen Pferden der Eisenzeit und überschneidet nur teilweise mit den bei der römischen Reiterei verwendeten, relativ hochwüchsigen Tieren. Die vergleichsweise große Anzahl der Equidenreste erlaubt es, Pferde und Maultiere besonders anhand des Radius, des Metacarpus und der Phalangen zu trennen. Maultiere dürften ein Drittel der Equiden ausmachen. Wuchsform und Größe sind jener der Pferde durchaus ähnlich. Die Maultiere wurden aus anderen Gebieten des Reichs importiert und wohl nicht in Pannonien, wo Esel ganz selten sind, gezüchtet.
Die Hunde gehören einer großen und starken Form an und sind etwa den rezenten Deutschen Schäferhunden ähnlich. Nur wenige Reste stammen von kleinen Hunden. Diese großen Hunde sind ausgesprochene Hüte- oder Wachhunde, wie sie etwa im germanischen Dorf Bernhardsthal in Niederösterreich an der tschechischen Grenze vorkamen. Die Hunde des städtischen Traismauer waren variabler.
Wenig vertreten sind der Esel, das Haushuhn, die Hauskatze, der Rothirsch, das Reh, der Fuchs, der Wolf, der Iltis, der Dachs und der Feldhase. Dazu kommen einige Wildvogelreste, sowie Amphibien, Fische und Gastropoden. Sie weisen keine Auffälligkeiten auf.
Der zweite Schwerpunkt dieser Studie wurde in die wirtschaftliche Interpretation von Nickelsdorf gelegt. Es handelt sich weder um einen Schlachthof städtischer oder militärischer Bestimmung, wie in Traismauer, noch um ein Bauerndorf, wie in Bernhardsthal, sondern um einen Gutshof (Villa rustica) mit seinen eigenen ökonomischen Erfordernissen. Die auffällige Einheitlichkeit der hier wohl nicht nur gehaltenen, sondern auch gezüchteten Haustiere jeder Art mag sich vor allem aus diesem Umstand heraus erklären. Die gut gepflegten, nahezu standardisiert erscheinenden Populationen, sowie der große Anteil der Pferde, Maultiere und Hunde zeigt, daß die Tierhaltung keineswegs nur auf den Eigengebrauch, sondern vielmehr auf die Versorgung der großen Städte des Limes und eventuell auch des Militärs mit Fleisch und Arbeitstieren ausgerichtet war. Daneben weisen die Skelettfunde auch auf die zeitweilige Tätigkeit einer Abdeckerei hin.
Summary
The site locality of Nickelsdorf, district Neusiedl am See (Burgenland, Austria), lies about 60 kilometres east of Vienna, near the Hungarian border. This lowland area rises only 130 m above sea level. The excavations, accompanying the construction of a motorway, encompass about four hectares of loess and sandy soil and uncovered the remains of a Roman "villa rustica" (estate) dating back to the 2nd and 3rd centuries A. D. The site is located about 25 kilometres south-east of Carnuntum, the capital of the Roman province of Pannonia, and was part of the hinterland of the cities and military installations of the Danubian Limes. The high number of finds from horses,mules and dogs, which are usually rarely represented in slaughtering refuse, makes the sample composition peculiar. Nevertheless, cattle, caprines and pigs are also numerous. There are much more sheep than goats and much more horses than mules. Wild animals and other domestic species are very rare (NISP of the principal groups: cattle 33%, caprines 19%, pigs 10%, horses and mules 20%, and dogs 13%).
A marked trait of this deposit is the presence of several pits containing more or less complete skeletons of cattle, caprines, etc. As many complete bones were found in the remaining sample, it is plausible that some other skeletons were dislocated and mixed with the slaughtering refuse. Traces of butchering or meat processing are few.
The cattle bones of Nickelsdorf reflect a homogeneous and monotypic population, which contrasts to the well-known mixed material of other Roman sites. At the estate, husbandry and slaughtering was restricted to a large and heavy-built breed with comparably elongated jaws and medium-sized horn cores, which had emerged together with the Romans in Central Europe. The sheep and goats also display the characters of Roman breeds. The pigs, however, are average in size, as in previous periods. Even the horses seem to form a homogeneous population. Their size was only medium, like the size of Iron Age horses in Eastern Europe, and therefore smaller than the average Roman military horse. Neither extremely small nor extremely tall individuals have been discovered at the site. The remarkable quantity of radius, metacarpal and phalanx bones enables the distinction between mules and horses. Mules make up 1/3 of the equids. Their shape and size is similar to that of the horses. The mules were probably imported from other regions and were not reared in Pannonia itself, where donkeys were rare.
The dogs were mostly tall and strong, quite comparable to recent German shepherd dogs and resembling those found in the Germanic village of Bernhardsthal in north-east Austria. These animals were probably used as herding-dogs. Only few remains indicate the presence of small dogs. The dogs of the urban site of Traismauer were much more variable.
The remains of donkeys, domestic fowls, domestic cats, red deer, roe deer, foxes, wolves, polecats, badgers and hares are few. Some remains of wild birds, fish and amphibians were also found.
A focus of the present study was on the quite interesting economy of the Nickelsdorf estate. The site is neither a butchery area of a city or a military settlement, like Traismauer, nor a peasant village, like Bernhardsthal, but rather a centre of agricultural production, a "villa rustica" with its own particular necessities. These circumstances probably explain the obvious homogeneity of the kept and reared breeds. The wellraised and almost standardized populations and the high proportion of horses, mules and dogs demonstrate that the animal production was directed not so much towards own requirements, but much more towards the supply with meat and work animals for nearby cities and military installations. Moreover, the high proportion of complete bones points towards the activities of a skinner.