Bauer, G., J. Szilvassy & H. Kritscher: Ein mittelalterlicher Karnerschädel und eine linke Tibia aus Falkenstein, Niederösterreich, mit Syphilis. p. 59-72, 3 pls
Es wird über den Schädel eines ca. 40 —50jährigen Mannes und eine Tibia — möglicherweise von ein und demselben Individuum — berichtet, die aus einem mittelalterlichen Karner in Falkenstein, Niederösterreich, stammen, der vom 16. bis zum 18. Jahrhundert belegt wurde. Am Schädel ließ sich zweifelsfrei die Diagnose Syphilis stellen, die Veränderungen am Schienbein gehen mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls auf eine luetische Infektion zurück. Das Kalvarium, vermutlich auch die Tibia, sind damit der in Österreich und Deutschland früheste Nachweis von Syphilis.
Diese beiden ältesten Exemplare aus Österreich und Deutschland sind für die Forschung deshalb so wichtig, weil die Syphilis eine der geheimnisvollsten und umstrittensten Krankheiten ist, was ihr Ursprungsgebiet und die Entstehungszeit anlangt. Eine Theorie besagt, daß die Syphilis durch KOLUMBUS und seine Mannschaft nach der Entdeckung Amerikas 1492 aus der Neuen Welt nach Europa eingeschleppt wurde, wo sie sich epidemienhaft verbreitete. Eine andere Theorie behauptet, daß diese Krankheit schon vorher in Europa heimisch war.
Nach Erörterung der Argumente für beide Theorien neigen die Autoren mehr zu der Ansicht, daß die Syphilis schon weit vor KOLUMBUS in beiden Hemisphären heimisch war.
Im Hinblick auf die geographische Nähe, und man könnte sagen Nachbarschaft, wäre es durchaus denkbar, daß der berichtete Fall von Syphilis der bekannten, 1577 in Brünn, Mähren, aufgetretenen Endemie zuzuordnen ist. Damit wäre überdies auch eine genauere Beantwortung der Frage, wann der Mann gelebt hat, möglich.
Der gegenständliche Fund kann zwar den Meinungsstreit der Experten nicht schlichten, denn der 40 —50jährige Mann aus dem 16. bis 18. Jahrhundert kann sowohl an der in Europa heimischen als auch an der aus Amerika möglicherweise eingeschleppten Syphilis erkrankt sein. Der Fund zeigt jedoch, daß die Untersuchung von Skeletten vergangener Zeiten der Wissenschaft eine Chance gibt, die Geschichte der Syphilis zu erhellen. Gleichzeitig ist auch dieser Fall ein gutes Beispiel dafür, daß die Berücksichtigung medizinischen Fachwissens bei der Beantwortung archäologischer und anthropologischer Fragen eine wertvolle Stütze sein kann.
Die Untersuchung der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen des Raumes Falkenstein zu Brünn, Mähren, im Hinblick auf die mögliche Einschleppung der Lues von Brünn nach Falkenstein wird Gegenstand einer weiteren Arbeit sein, wie auch die wissenschaftlichen Dokumentation eines vielleicht ebenfalls syphilitisch veränderten Awarenschädels aus Zwölfaxing in Niederösterreich aus der Zeit von 860 — 830 n. Chr.
Summary
This paper deals with a calvarium of an adult male, about 40 — 50 years of age, and a tibia probably belonging to the same individual. These bones were removed from a Medieval charnel-house in Falkenstein, Lower Austria, which was in use between the sixteenth and the eighteenth century. There is no doubt that the diagnosis on the skull is syphilis, the changes on the tibia likewise point towards a luetic infection.
The calvarium and presumably the tibia are therefore supposed to be the oldest specimen with the earliest evidence of syphilis in Austria and Germany.
Those two oldest specimens from Austria and Germany are of importance for research, because syphilis is one of the most mysterious and controversial diseases as far as area and time of origin is concerned.
One theory accepts that syphilis has been brought by COLUMBUS and his crew, after discovering America in 1492, from the New World to Europe, where it spread epidemically.
Another theory insists, that this disease was present in Europe before this time.
By discussing the arguments of both theories, some authors tend towards accepting a view that syphilis has been present in both hemispheres long before COLUMBUS.
In view of the geographical vicinity, or even neighbourhood, it would be quite conceivable that the described case of syphilis could be associated with the well known endemic disease, which was manifest in Brno, Moravia, in 1577. This would consequently be a more exact answer concerning the time the man has lived in.
The presented object may not settle the experts dispute, since the 40 — 50 years old man from the Middle-Ages might have suffered from syphilis then indigenous in Europe, or introduced from America.
The investigation of old bones reveals the chance, science is given to enlighten the history of syphilis.
Simultaneously, this case is a good example to demonstrate that" the consideration of medical knowledge may be a worth-while support in solving archaeological and anthropological problems.
The investigation on political, economical and social relations between Falkenstein
and Brno, Moravia, in view of a possible carriage ,of a luetic infection from Brno to Falkenstein and a scientific documentation of a possibly syphilitic affected Avarian skull from Zwölfaxing in Lower Austria, dated 680 — 830 A. D., will be subject of further studies.